Dass die Zahl der von Depression Betroffenen steigt, ist in aller Munde. Viele
Forscher*innen schätzen sie im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten höher, es kommt aktuell aber auch zu mehr Diagnosen. Junge Menschen und speziell Frauen sind dabei betroffen, aber auch besonders bezüglich Angststörungen zeigen sie rapide Anstiege. Ursachen sind Corona, Klima, Kriege oder wirtschaftliche und gesellschaftliche Sorgen. Forschungen zeigen diverse Auswirkungen und Lösungsansätze.
Die Entwicklungen im Überblick
Veränderungen bezüglich psychischer Gesundheit werden in Studien unterschiedlich dargestellt. Im Jahr 2000 beispielsweise waren jüngere Menschen die kleinste Gruppe der unter Depressionen und Ängsten Leidenden, 2019 mit 30% dagegen die größte. 2021 hatten mehr als ein Drittel der Menschen unter 45 Jahren eine psychische Störung, davon waren 40% zwischen 18 und 21 Jahren alt. Unter Jugendlichen wirkt dies besonders prägend, denn in dieser Lebensphase ist aufgrund der unvollständigen Entwicklung die Neuroplastizität noch recht hoch, also die Reaktion und Anpassung des Gehirns auf und an die Umwelt. Konstanter Stress führt bei ihnen daher zur Veränderung der Gehirnstruktur, was im Moment und auf Dauer psychische Störungen fördern kann.
Die Pandemie als stetiger Begleiter
Doch was sind die Ursachen? Das Depressionsvorkommen stieg durch die Pandemie weltweit unter allen Altersgruppen um 27,6 %, Angststörungen um knapp 25,6%. Die Studie “Jugend in Deutschland” stellt klar, dass ein “stetiges Corona-Gefühl” inklusive Schuldgefühle, der Eindruck eigene Bedürfnisse momentan nicht stillen zu dürfen oder der Verlust von Kontrolle entstand. Psychologe Stephan Grünewald nennt dies “Melancovid”. Psychische Folgen waren daraufhin Antriebslosigkeit (35%) oder sogar Suizidalität (7%). Auch die Pflege von Großeltern oder Geschwistern kann als Erklärung hinzu gezählt werden, was während der Coronapandemie häufiger vorkam.
Klima macht Angst
Zudem ist der Klimawandel omnipräsent und wirkt sich aufgrund drohender Existenzkrisen indirekt auf die Psyche aus. 55% der Generation Z haben nachweislich diese Sorge. Die sogenannte “Klimaangst” oder “Eco-Angst” löst unter anderem Schlafstörungen, Panik und Angst, Depressionen oder Zwänge aus.
Existenzängste und hoffnungslose Zukunftsaussichten
Das Opaschowski Institut stellte noch genauer fest, dass der Glauben an die Sicherheit bezüglich wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fragen schwindet. Auch die Studie zur Jugend bestätigt das. 46% verspüren Unsicherheiten bezüglich steigender Lebenshaltungskosten und sorgen sich um Wirtschaft und gesellschaftliche Spaltung. Dabei fokussieren sich Einzelpersonen auf wenige Krisen, wodurch sich Lager bilden, die sich dann gegebenenfalls gegenüberstehen. Genauer aber die Erwerbslosigkeit bereitet Forschenden Sorgen. Auch hier sind jüngere Altersgruppen stärker betroffen, die schlagartig durch die Pandemie ohne Arbeit waren. Unabhängig solcher Ereignisse wird beispielsweise aus den USA berichtet, dass Wettbewerbe auf dem Arbeitsmarkt, auch international, in der Ausbildung oder generell der Gesellschaft zunehmen, sowie das Gefühl sozialen Misserfolgs, Isolation und der Einfluss der Technik. Das fördert Druck auf äußere Werte wie das Gehalt zurückzugreifen, und fördert ungleiche finanzielle Vergütung. 2021 folgte dann die “große Resignation”: Viele Menschen kündigten ihren Job. Aber auch in OECD-Ländern erfolgte ein starker Rückgang der Erwerbstätigkeit ohne Motivation auf Suche neuer Arbeit. Dazu zählen mit drei Millionen auch junge Menschen, allerdings eher als kleinere Gruppe. Als Auslöser wurden beispielsweise der plötzliche Vergleich zur möglichen Zeit mit der Familie im Homeoffice oder Sinnsuche erforscht.
Kriegserleben prägt ein Leben lang
68% der Generation Z machen sich außerdem Sorgen um Kriege, 46% fürchten eine europaweite Auseinandersetzung. Selbst in jeglicher Weise von Krieg betroffen zu sein wirkt sich nachweislich auf die Wahrscheinlichkeit aus Krankheiten des Herzens, Diabetes oder eben Depressionen zu bekommen. Dies fällt nicht nur phasenweise und aktuell auf, sondern auch im Erwachsenenalter.
Stärkeres Eingehen auf junge Menschen notwendig
Angst vor Krieg, wirtschaftliche Konsequenzen wie Inflation und der Klimawandel sind laut der Trendstudie zur Jugend insgesamt ausschlaggebend. Generell sind erschreckende Nachrichten Auslöser psychischer Störungen. Hierbei summieren sich Krisen und es entsteht ein konstantes Gefühl fest in Krisen zu stecken. An dieser Stelle ist es wichtig, Signale wahrzunehmen. Forschungen üben durch ihre Ergebnisse Kritik an Politik und Gesundheitswesen, die statt Kompetenzen zum Umgang mit Krisen zum Beispiel mehr Lernstoff aufdrücken. Stattdessen ist mehr psychosoziale Betreuung und Sportangebote notwendig. Wie resilient mit Krisen umgegangen werden kann und was gute Psychohygiene ausmacht, kann ebenfalls erlernt werden. Dabei ist der offene Umgang mit Gefühlen zentral, der praktiziert werden muss. Junge Menschen sollten ebenso politisch ernst genommen und im Zuge dessen beispielsweise Ungleichheiten wie Schulschließungen oder Bildungsunterschiede vermieden werden. Trotzdem sieht sich die Generation als positiv, hoffnungs- und erwartungsvoll gestimmt an und ihnen wird mehr Bewusstsein für mentale Probleme zugeschrieben. Denn Ängste und Sorgen können positiv genutzt werden, was sich durch Fridays for Future zeigt. Solche Entwicklungen und Motivationen sind eher neu, sollten deshalb aber nicht ignoriert werden. Zu dem Umgang mit Krisen gibt es übrigens schon einen ausführlichen Artikel auf diesem Blog:
https://www.ulmify.de/resilient-durch-die-krise-ressourcen-zur-bekaempfung-von-klimaangst-und-co/.
Ständige, zusätzliche Angstfaktoren wirken sich eindeutig auf die psychische Gesundheit aus, was sich speziell unter jüngeren Generationen zeigt. Das Aufwachsen in Unsicherheit und Bedrohung ist kritisch, nicht nur im relevanten Moment. Es zählt daher eine bessere Heranführung an solche Realitäten und der Umgang damit. Deutlich ist, dass sich dabei neben der Behandlung junger Menschen auch grundlegende Strukturen in unserem System ändern müssen.
Quellen
Stutte, Harald (07.08.2022): Die deutsche Gesellschaft im psychischen Ausnahmezustand, Wenn die Zuversicht schwindet, RedaktionsNetzwerk Deutschland, [online]: https://www.rnd.de/politik/corona-ukraine-krieg-energie-krise-das-raet-ein-sozialpsychologe-2QEE72CEAFHKLPGOLH6MFUOWOM.html.
Pohl, Evelyn (04.05.2022): Nach der Krise ist in der Krise: So geht es jungen Menschen in Deutschland, Watson, [online]:
https://www.watson.de/leben/coronavirus/114816791-jugendstudie-zeigt-die-psychischen-fol gen-von-krieg-corona-und-klimawandel.
Sarikaya, Betül (12.08.2022): Was Krisen mit jungen Menschen machen, Krieg, Klimawandel, Pandemie, Tagesschau, [online]:
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/junge-generation-krisen-101.html.
Hidaka, Brandon H. (2012): Depression as a disease of modernity: Explanations for increasing prevalence, in: Journal of Affective Disorders, Bd. 140, Nr. 3, S. 205-214, Elsevier Verlag, [online]:
https://reader.elsevier.com/reader/sd/pii/S0165032711007993?token=5F787B49B4698C898 88498D87D112ED98B1FC19BB11AB183F75B3F4A051E853F31A04751E2C82B06823748 587C33BAB2&originRegion=eu-west-1&originCreation=20230103201652.
Spitzer, Manfred (2022): Corona-Depression, Eco-Angst, Stress, Resignation und Resilienz, in: Nervenheilkunde, Georg Thieme Verlag KG, Bd. 41, Nr. k.A., S. 8-18, [online]:
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/a-1650-1998.pdf.